Buribunken und Bloggers
Die Haupteigenschaft der Buribunken ist, „daß die Buribunken Tagebuch führen, sowie, daß sie ein erweitertes Maul haben.“ Dabei ist das Tagebuch-führen ein Zeichen „enormer Geistigkeit“ und auch das „große Maul“ zeugt von hoher Intelligenz. Buribunken zeichnen das Leben auf, alles was geschieht, aus einem großen inneren Bedürfnis, die Geschichte zu schreiben und durch das Schreiben Geschichte zu konzipieren. Dabei machen sie sich selbst zu Objekten der Geschichte, denn das kompromisslose Aufschreiben beinhaltet auch das Schreiben über das Schreiben. Ein Buribunke kann sich nicht vom Schreiben entschuldigen, fällt ihm nichts ein, so schreibt er über die momentane persönliche Ideenlosigkeit oder den Unmut, zu schreiben. So wird das Schreiben beliebig und verwandelt sich in Roland Barthes „intransitives“ Schreiben, das sich selbst zum Gegenstand macht.
Ein Buribunke erzeugt Ereignisse für die Medien, auch wenn kein wirkliches Ereignis vorhanden ist. Allein sein Schreiben wird zum Ereignis und dass es sich beim Buribunkentum um eine ernst zu nehmende Wissenschaft handelt, begründet sich aus der Tatsache heraus, dass es sie gibt. Dessen vergewissern sich Buribunken auf Treffen und Tagungen, bei denen Gelegenheiten geschaffen werden, Tagebücher auszutauschen und zu sichten. Daraus entstehen Zusammenfassungen, Kataloge und Verhältnisse, Kommentare und Verweise, bei denen interner Reflexion Gelegenheit gegeben wird.
Nicht zu vergessen sind folgende Grundprinzipien des buribunkischen Schreibens: nichts ist zu banal, nichts zu unwichtig, alles kann und soll Gegenstand des nach Möglichkeit täglichen Aufschreibens und Katalogisierens des Alltags werden. Es wird darauf hingewiesen, dass jeder Tagebuchautor „in völliger Zwanglosigkeit“ verfassen, alle formal vormals bindenden Regeln nutzen oder verwerfen kann, und die „unbedingte Freiheit der Meinungsäußerung“ wahrgenommen werden soll.
Der Grundriß dieses Paradigma ist: „Ich denke, also bin ich; ich rede also bin ich; ich schreibe, also bin ich; ich publiziere, also bin ich. Das enthält keinen Gegensatz, sondern nur die gesteigerte Stufenfolge von Identitäten, die sich in logischer Gesetzmäßigkeit über sich hinaus entwickeln.“ Ein Buribunke wird nicht nur zum Teilnehmer seiner Geschichte, sondern er wird ihr Schreiber.
Die Buribunken, Protagonisten der satirischen Denkschrift von Carl Schmitt, die hier kurz zusammengefasst ist, trägt den Untertitel „ein geschichtsphilosphischer Versuch“ und stammt bereits aus dem Jahr 1918. Er treibt den damals blühenden Historismus auf die Spitze und entwirft die aus den Bemühungen von beinahe über-konsequenten Aufzeichnungsbemühungen eine pseudo-Wissenschaft. Die solipsistische Begründung seiner Wissenschaft und die sich aus sich selbst generierende Existenzberechtigung muten in ihrer Übertreibung lächerlich an. Die unbegrenzte Manie des Aufschreibens, selbst des Aufschreibens, um des Aufschreibens Willen sind Hauptbestandteil und Zwang der Buribunken.
Aber nicht alles daran ist verwerflich. Das Ziel einer solchen Kulturtechnik ist es, die Geschichtsschreibung zu dezentralisieren, denn jeder ist angehalten und autorisiert daran mitzuschreiben. Die Tagebücher wiederum, als Gegenstand weiterer iterativer Forschung werden zum Kontrollmedium, da sie Gewohnheiten, Alltäglichkeiten und einfach alles enthalten, was die Verfasser ausmacht. Das Innenleben publizieren und nach außen kehren, ist die Devise des Buribunken. Die Einzelnen Tagebücher zu „verlinken“ ist gedanklich in der Schrift angelegt, die gegenseitige Bezugnahme erwünscht.
Was soll nun aber die Betrachtung dieses beinahe 100 Jahre alten Text, der sich mit den Auswüchsen eines paranoiden Geschichtsbewusstseins befasst, umso mehr im Rahmen eines Blogeintrages?
Als ich auf den zitierten Text stieß, drängten sich Parallelen zur sich etablierenden Kulturtechnik des Bloggens geradezu auf. Nicht nur die Beobachtung, dass ein großer Teil von Blogs sich mit Alltag und der eigenen Person im Alltag befasst, auch die Selbstbezüglichkeit ist augenscheinlich. Buribunken und Bloggern ist nichts zu banal, kein Thema zu persönlich, nichts entbehrt der Berechtigung einmal Gegenstand eines Beitrages zu sein. Die angedeutete Verlinkung und Auswertung der buribunkischen Tagebücher findet allein durch die mediale Struktur der Blogs und natürlich ihrer Verortung im Internet in einer Form statt, von der erstere nur hätten träumen können. Und auch ich, Verfasserin eines kleinen und unsteten Blogs, werde bei längerem nicht-Posten vom schlechten Gewissen und dem Gefühl des Rückstandes heimgesucht.
Die Verwandschaft von Blogs zum Tagebuch ist offensichtlich. Der Frage, was ein Blog eigentlich sei, folgt oft die Antwort, es handle sich, vereinfacht gesagt, um eine Webseite mit Tagebuchcharakter. Natürlich erfasst diese Definition nicht alle Arten von Blogs und Verallgemeinerungen sind selbstverständlich höchst verwerflich, aber als Hinweis auf einen gemeinsamen geistigen Ursprung von Blogs und Tagebüchern ist diese Aussage durchaus akzeptabel.
Weiterhin steht die Welt des Journalismus den Bloggern skeptisch gegenüber bzw. sich der Schwierigkeit gegenüber, diese einordnen zu können. Als inoffizielle Journalisten schreiben sie ohne Lohn aus purem Enthusiasmus an der Geschichte, die in Zeitungen und Nachrichtenmedien generiert wird mit. Die Möglichkeit eines jeden Einzelnen, zu publizieren und eine Stimme zu bekommen, lassen alle in die Position der Geschichtsschreiber gelangen.
Schmitts Satire macht deutlich, dass nicht alles, was ein Buribunke schreibt von Vornherein qualifiziertes Gedankengut ist, aber das konsequente Aufschreiben und das „große Maul“ eine Art von Intelligenz und Weitsicht im Denken generieren, die durch die Menge und Vielfalt erreicht werden soll. Auch Blogs haben bereits auf Aspekte und Zusammenhänge aufmerksam gemacht, die dem klassischen Journalismus entgangen sind. Die Intelligenz der Massen ist im Zusammenhang mit Blogs und gerade dem Begriff des Web2.0 in die Debatte aufgenommen wurden.
Nun gut. Die Buribunken hat es nie gegeben. Sie sind eine Satire aus der Feder Carl Schmitts. Blogs gibt es, und es wird sich zeigen, in welchem Rahmen sie sich etablieren oder das bereits getan haben. Die Ähnlichkeit der Beiden Konzepte jedoch ist frappierend.
Zitierter Text: Carl Schmitt: Die Buribunken. In: Summa. Eine Vierteljahresschrift. Hrsg. Von Franz Blei. Viertes Viertel. Hellerau: jakob Hener, 1918. S. 89-106
Ein Buribunke erzeugt Ereignisse für die Medien, auch wenn kein wirkliches Ereignis vorhanden ist. Allein sein Schreiben wird zum Ereignis und dass es sich beim Buribunkentum um eine ernst zu nehmende Wissenschaft handelt, begründet sich aus der Tatsache heraus, dass es sie gibt. Dessen vergewissern sich Buribunken auf Treffen und Tagungen, bei denen Gelegenheiten geschaffen werden, Tagebücher auszutauschen und zu sichten. Daraus entstehen Zusammenfassungen, Kataloge und Verhältnisse, Kommentare und Verweise, bei denen interner Reflexion Gelegenheit gegeben wird.
Nicht zu vergessen sind folgende Grundprinzipien des buribunkischen Schreibens: nichts ist zu banal, nichts zu unwichtig, alles kann und soll Gegenstand des nach Möglichkeit täglichen Aufschreibens und Katalogisierens des Alltags werden. Es wird darauf hingewiesen, dass jeder Tagebuchautor „in völliger Zwanglosigkeit“ verfassen, alle formal vormals bindenden Regeln nutzen oder verwerfen kann, und die „unbedingte Freiheit der Meinungsäußerung“ wahrgenommen werden soll.
Der Grundriß dieses Paradigma ist: „Ich denke, also bin ich; ich rede also bin ich; ich schreibe, also bin ich; ich publiziere, also bin ich. Das enthält keinen Gegensatz, sondern nur die gesteigerte Stufenfolge von Identitäten, die sich in logischer Gesetzmäßigkeit über sich hinaus entwickeln.“ Ein Buribunke wird nicht nur zum Teilnehmer seiner Geschichte, sondern er wird ihr Schreiber.
Die Buribunken, Protagonisten der satirischen Denkschrift von Carl Schmitt, die hier kurz zusammengefasst ist, trägt den Untertitel „ein geschichtsphilosphischer Versuch“ und stammt bereits aus dem Jahr 1918. Er treibt den damals blühenden Historismus auf die Spitze und entwirft die aus den Bemühungen von beinahe über-konsequenten Aufzeichnungsbemühungen eine pseudo-Wissenschaft. Die solipsistische Begründung seiner Wissenschaft und die sich aus sich selbst generierende Existenzberechtigung muten in ihrer Übertreibung lächerlich an. Die unbegrenzte Manie des Aufschreibens, selbst des Aufschreibens, um des Aufschreibens Willen sind Hauptbestandteil und Zwang der Buribunken.
Aber nicht alles daran ist verwerflich. Das Ziel einer solchen Kulturtechnik ist es, die Geschichtsschreibung zu dezentralisieren, denn jeder ist angehalten und autorisiert daran mitzuschreiben. Die Tagebücher wiederum, als Gegenstand weiterer iterativer Forschung werden zum Kontrollmedium, da sie Gewohnheiten, Alltäglichkeiten und einfach alles enthalten, was die Verfasser ausmacht. Das Innenleben publizieren und nach außen kehren, ist die Devise des Buribunken. Die Einzelnen Tagebücher zu „verlinken“ ist gedanklich in der Schrift angelegt, die gegenseitige Bezugnahme erwünscht.
Was soll nun aber die Betrachtung dieses beinahe 100 Jahre alten Text, der sich mit den Auswüchsen eines paranoiden Geschichtsbewusstseins befasst, umso mehr im Rahmen eines Blogeintrages?
Als ich auf den zitierten Text stieß, drängten sich Parallelen zur sich etablierenden Kulturtechnik des Bloggens geradezu auf. Nicht nur die Beobachtung, dass ein großer Teil von Blogs sich mit Alltag und der eigenen Person im Alltag befasst, auch die Selbstbezüglichkeit ist augenscheinlich. Buribunken und Bloggern ist nichts zu banal, kein Thema zu persönlich, nichts entbehrt der Berechtigung einmal Gegenstand eines Beitrages zu sein. Die angedeutete Verlinkung und Auswertung der buribunkischen Tagebücher findet allein durch die mediale Struktur der Blogs und natürlich ihrer Verortung im Internet in einer Form statt, von der erstere nur hätten träumen können. Und auch ich, Verfasserin eines kleinen und unsteten Blogs, werde bei längerem nicht-Posten vom schlechten Gewissen und dem Gefühl des Rückstandes heimgesucht.
Die Verwandschaft von Blogs zum Tagebuch ist offensichtlich. Der Frage, was ein Blog eigentlich sei, folgt oft die Antwort, es handle sich, vereinfacht gesagt, um eine Webseite mit Tagebuchcharakter. Natürlich erfasst diese Definition nicht alle Arten von Blogs und Verallgemeinerungen sind selbstverständlich höchst verwerflich, aber als Hinweis auf einen gemeinsamen geistigen Ursprung von Blogs und Tagebüchern ist diese Aussage durchaus akzeptabel.
Weiterhin steht die Welt des Journalismus den Bloggern skeptisch gegenüber bzw. sich der Schwierigkeit gegenüber, diese einordnen zu können. Als inoffizielle Journalisten schreiben sie ohne Lohn aus purem Enthusiasmus an der Geschichte, die in Zeitungen und Nachrichtenmedien generiert wird mit. Die Möglichkeit eines jeden Einzelnen, zu publizieren und eine Stimme zu bekommen, lassen alle in die Position der Geschichtsschreiber gelangen.
Schmitts Satire macht deutlich, dass nicht alles, was ein Buribunke schreibt von Vornherein qualifiziertes Gedankengut ist, aber das konsequente Aufschreiben und das „große Maul“ eine Art von Intelligenz und Weitsicht im Denken generieren, die durch die Menge und Vielfalt erreicht werden soll. Auch Blogs haben bereits auf Aspekte und Zusammenhänge aufmerksam gemacht, die dem klassischen Journalismus entgangen sind. Die Intelligenz der Massen ist im Zusammenhang mit Blogs und gerade dem Begriff des Web2.0 in die Debatte aufgenommen wurden.
Nun gut. Die Buribunken hat es nie gegeben. Sie sind eine Satire aus der Feder Carl Schmitts. Blogs gibt es, und es wird sich zeigen, in welchem Rahmen sie sich etablieren oder das bereits getan haben. Die Ähnlichkeit der Beiden Konzepte jedoch ist frappierend.
Zitierter Text: Carl Schmitt: Die Buribunken. In: Summa. Eine Vierteljahresschrift. Hrsg. Von Franz Blei. Viertes Viertel. Hellerau: jakob Hener, 1918. S. 89-106
ypsilon - 2006-04-26 15:26
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